„Wir bemühen uns alle zu erreichen”
- Karl-Heinz Leiss
- 19. Juni
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 27. Juni
Am Montag, knapp zwei Wochen nachdem ein 21-jähriger am BORG Dreierschützengasse an seiner ehemaligen Schule neun Schülerinnen und Schüler und eine Lehrerin ermordet hat, startet der wieder der Schulbetrieb. Für wen in welcher Form ist noch offen, denn ein Viertel der Schülerinnen und Schüler konnte bisher noch nicht erreicht werden.

„Wir bemühen uns, alle Schülerinnen und Schüler zu erreichen” versicherte Bildungsdirektorin Elisabeth Meixner, nach einer Sitzung eines Landes-Sicherheitsgipfels. Denn am Montag startet die Schule wieder, wobei an Regelunterricht natürlich weiterhin nicht zu denken sei. In die Bemühungen, die Jugendlichen wieder zum Schulbesuch zu motivieren oder sich überhaupt dafür zu melden, sind die Klassenvorstände, Lehrerinnen und Lehrer, Psychologen aber auch die Schulkolleginnen und Schulkollegen involviert.
Meixner ging im Detail darauf ein, wie es am BORG Dreierschützengasse weitergehen wird: „Klar ist, dass es noch sehr lange dauern wird, die Ereignisse vom 10. Juni zu verarbeiten. Es gibt allerdings viele unterschiedliche Betroffenheiten. Von jenen, die bei der Amoktat direkt dabei waren, bis zu jenen, die gerade auf Schulsportwoche gewesen sind. Für uns ist die dauerhafte und intensive Unterstützung der der Schülerinnen und Schüler sowie Pädagoginnen und Pädagogen vor Ort von zentraler Bedeutung. “
Das Team der Lehrerinnen und Lehrer hat ein Programm zusammengestellt, das ab Montag, dem 23. Juni, umgesetzt werden wird und vor allem auch musische und sportliche Schwerpunkte beinhalten wird. Jedes Kind soll so seinen eigenen Weg zurück in die Schule finden. Dafür wird es drei verschiedene Raum-Angebote geben.
Erstens gibt es weiterhin Angebote bei der List-Halle für jene, die das nutzen wollen. Meixner: „Dafür wird derzeit noch eine Halle hinter der List-Halle adaptiert, wofür wir der Familie List, die uns sowohl am Tag der Tragödie als auch weiterhin sehr entgegen gekommen ist, äußerst dankbar,”
Zweitens wird es am Schulgelände Angebote in mobilen Klassen geben, die ab Montag bereitstehen werden.
Und drittens wird für all jene Schülerinnen und Schüler, die bereits wieder ins Schulgebäude wollen, der erste Stock der Schule geöffnet. Nur jene Räumlichkeiten des Gebäudes, die vom Geschehenen am wenigsten belastet sind, werden genutzt. Meixner: „All das wird selbstverständlich unter ständiger psychologischer Betreuung ablaufen.”
Übrigens: Zur Diskussion stand auch, die neuen Schulen im Stadtteil Reininghaus als „Ersatz” für das BORG Dreierschützegasse zu nutzen, aber davon wurde aus mehreren Gründen Abstand genommen. Statt dessen soll das Schulgebäude in der Dreierschützengasse mittelfristig in enger Zusammenarbeit mit der gesamten Schulgemeinschaft umgestaltet werden.

Beirat zur Gewaltprävention kommt
Landeshauptmann Mario Kunasek betonte nach der Sitzung des Krisengipfels, dass man erst am Beginn stehe, was die Lösung „vielschichtigen Probleme “ beträfe und dass es gelte, die bereits vorhandenen Lösungsansätze besser zu koordinieren. Als erstes werde dazu unter Verantwortung von Bildungslandesrat Stefan Hermann ein Beirat zur Gewaltprävention eingerichtet, dem auch Vertreter aller im Landtag vertreten Parteien angehören
Eltern-Kind-Bildungspass
LH-Stellvertreterin Manuela Khom fokussierte sich in ihrem Statement nach der Sitzung vor allem auf die die Nutzung der Sozialen Medien durch Kinder und Jugendlichen sowie die Verantwortung der „damit oft überlastetem Elternt.” Khom: „Unsere Kinder versinken in den Sozialen Medien. Wie wir durch allfällige Einschränkungen zu besserem Schutz für unsere Kinder kommen ist natürlich Bundeskompetenz. Was wir auf steirischer Ebene tun können, ist, die digitale Medienkompetenz der Kinder und Eltern zu stärken. Deswegen werden wir im Beirat für Gewaltprävention als eines der ersten Themen einen sogenannten Eltern-Kind-Bildungspass besprechen.
Bildungslandesrat Stefan Hermann verwies auf die zunehmende Radikalisierung an den Schulen. Darauf habe bereits sein Amtsvorgänger im Vorjahr mit der Schaffung der Koordinierungsstelle für Gewalt und Radikalisierungsprävention reagiert. Die Zahlen zeigen, wie notwendig diese sei: „Allein im letzten halben Jahr gab es 210 Kontaktaufnahmen, 126 davon aus dem steirischen Zentralraum. Es kam zu 167 Einsätzen des Kriseninterventionsteams. Wir haben auch einen kontinuierlichen Anstieg suspendierter Schüler, die wir aber mit unserer Suspendierungsbegleitung, die ein österreichweites Vorbild ist, nicht allein lassen.”

Schon vor dem „Sicherheitsgipfel” des Landesrat hat der Grazer Jugend- und Bildungsstadtrat Kurt Hohensinner gemeinsam mit der Bildungsdirektion Steiermark eine Expertenrunde einberufen. Das Ziel: Schulen als sichere Orte weiterzuentwickeln, sowohl baulich als auch im psychosozialen Bereich und in organisatorischen Abläufen. „Die 100-prozentige Sicherheit wird es leider nie geben. Unser Anspruch muss aber jetzt sein, mit unterschiedlichen Maßnahmen die Sicherheit spürbar und nachhaltig zu erhöhen. Es geht um den Schutz von Leben und Gesundheit. Wir brauchen einerseits bauliche Maßnahmen und mehr Prävention. Andererseits auch klare, eingeübte Reaktionen auf Gefahrenlagen. Schulen sollen Orte des Lernens und der Entfaltung sein. Aber eben auch Orte, an denen sich Kinder und Jugendliche sicher fühlen“, so der Bildungsstadtrat.
Der Prozess ist breit angelegt. Einige erste Diskussionspunkte wurden bereits angesprochen, wie Zutrittsschutz und bauliche Sicherheit, die Schaffung sicherer Rückzugsräume in Schulgebäuden, die Sicherung von Schulgrundstücken und sensiblen Innenräumen oder interne Warnsysteme via Lautsprecher oder App sowie verpflichtende Krisen- und Notfallübungen analog zu Brandschutzübungen.
Sonderpaket Schulsozialarbeit
Geplant ist auch die Aufstockung der Schulsozialarbeit, um Ressourcen für alle Schulen im Stadtgebiet bereitstellen zu können. Dazu zählen der Ausbau psychosozialer Unterstützung durch Schulpsycholog:innen sowie Ausbau und stärkere Kooperation mit den Präventionsbeamten der Polizei.
Hohensinner: „Der Prozess wird breit, differenziert und fachlich fundiert geführt. Aber ich will auch rasch konkrete Verbesserungen. Erste sichtbare Maßnahmen sollen bereits im kommenden Schuljahr umgesetzt werden.”

Präventionsexperte nicht eingeladen, Finanzierungsfragen offen
Was sowohl beim Krisengipfel des Landes, als auch bei der Expertenrunde Hohensinners sofort auffällt: Bei der angespannten Finanzlage von Stadt und Land sowie den Budgeteinsparungen wurden Finanzierungsfragen für alle diese Maßnahme nicht angesprochen.
Und: Günther Ebenschweiger, seit Jahrzehnten erfahrener und mehrfach ausgezeichneter (zB, Grazer Menschenbrechtspreis 2015, Goldene Ehrenzeichen von Stadt Graz und Land Steiermark) Gewaltpräventionsexperte wurde dazu nicht eingeladen. Im Gegenteil: Ebenschweiger, früher Chef der Polizeiinspektion Graz-Jakomini und seit 2017 selbstständiger Coach und international gefragter Präventionsexperte, musste seinen für heuer in Graz geplanten „Präventionskrongress”, den er seit 2009 organisiert, erstmals absagen, nach dem ihm die Förderungsmittel dafür verweigert wurden.
KHL
留言